Wenn jemand an der Tür klopft

Wenn es an unserer Tür klopft und jemand unsere Hilfe braucht, denken wir wahrscheinlich in den seltensten Fällen, dass derjenige ein Engel sein könnte. Woher kommt diese Vorstellung im Bibelvers?

Der Schreiber des Hebräerbriefes nimmt im gesamten Brief sehr oft Bezug auf alttestamentliche Stellen. Von daher ist es gut denkbar, dass er sich beim Schreiben auf den Bibeltext im 1. Buch Mose 18 bezieht. Abraham sitzt vor der Tür seines Zeltes, als drei Männer vor seiner Tür standen. Er bewirtet sie, lässt ein zartes Kalb schlachten und seine Frau Sara bäckt Kuchen. Als die Männer im Zelt essen, prophezeit einer der Männer, dass Sara übers Jahr einen Sohn haben wird. Sara lacht darüber, denn sie ist hochbetagt. Aber es geschieht so. Sara wird schwanger und bringt Isaak zur Welt. Abraham und Sara erkennen, dass sie keine Menschen beherbergt haben, sondern der Herr selbst bei Ihnen eingekehrt war.

Diese Geschichte hat Juden und Christen geprägt und Gastfreundschaft gehört seit jeher zu den christlichen Aufgaben.

Wie können wir diesen Text übertragen in unsere heutige Zeit? Auch in unserer Zeit gibt es sicher ab und an Menschen, die unsere Hilfe benötigen, unseren Rat oder vielleicht sogar materielle Hilfe.

An der Tür des Pfarrhauses klingeln manchmal Leute, die auf den ersten Blick nicht so ganz vertrauenserweckend aussehen. Wie sollen wir ihnen begegnen? Sollen wir sie schroff fortschicken und sie vor die Tür weisen? Oder in naiver Vertraulichkeit unsere Wohnung öffnen, um dann evtl. festzustellen, dass diese Personen doch keine Engel waren und einige Wertgegenstände fehlen?

Ich denke, es ist im Sinne des Bibeltextes und auch der christlichen Gastfreundschaft, die Menschen mit dem Blick der Liebe Gottes zu sehen. Auch Menschen, die auf den ersten Blick nicht so anziehend erscheinen, sind von Gott geliebt, haben ihre eigene Geschichte und sind wertvoll in Gottes Augen. Das bedeutet aber kein blindes Vertrauen. Vielleicht kann die folgende Geschichte zur Verdeutlichung helfen:

Von Viktoria, der Königin von England, erzählt man, dass sie während eines Aufenthalts in ihrer Sommerresidenz Balmoral gern in einfachen Kleidern durch den Wald wanderte und sich freute, wenn sie unerkannt blieb. Eines Tages geriet sie während eines solchen Spaziergangs in ein heftiges Unwetter. Als sie eine Hütte sah, eilte sie darauf zu. Eine alte Bäuerin, die ihr Haus nur selten verließ, lebte hier ganz allein. Die Königin grüßte sie und fragte, ob sie ihr einen Regenschirm leihen könne; sie werde dafür sorgen, dass er schnell zurückgebracht werde.

Die alte Frau ahnte nicht, wer sich mit einer solchen Bitte an sie gewandt hatte. „Nun“, antwortete sie mürrisch, „ich habe zwei Schirme. Der eine ist fast neu. Den alten können Sie bekommen, den neuen verleihe ich keinem.“ Mit diesen Worten gab sie der Königin den abgetragenen alten Schirm, dessen Stangen nach allen Seiten herausspießten. Die Königin dachte, bei diesem Wetter sei ein schlechter Schirm immer noch besser als gar keiner. – Sie dankte der Frau und ging mit einem freundlichen Lächeln hinaus.

Doch wie groß war der Schrecken der armen alten Frau, als am nächsten Morgen ein Diener in königlicher Livree eintrat und ihr im Namen der Königin Viktoria den alten Schirm zurückbrachte. Sie lasse danken und versichere, dass er ihrer Majestät gute Dienste geleistet habe, sagte der Überbringer.

Wie bedauerte die Frau es nun, dass sie der Königin nicht das Allerbeste, das sie besaß, angeboten hatte. Immer wieder klagte sie: „Wenn ich es doch nur gewusst hätte!“

Eine gesegnete Urlaubs- und Sommerzeit wünscht Pfarrerin Ulrike Lange